
Vor Kurzem wurde ein Baby in meinem Bekanntenkreis geboren. Das kam in den letzten Jahren häufig vor. Die ältere Generation interessiert sich für die Fakten: Gesundheit von Mutter und Kind, Gewicht, Größe. Unsere Generation – ganz besonders die jungen Eltern – erfragen eher die Details zum Geburtshergang: Wie lange dauerte die Geburt? Wie schnell schritt die Eröffnungsphase voran? Gab es Komplikationen? Wie viele Presswehen erlebte die Mutter? Wie zufrieden war das Paar mit dem Team des Kreissaals?
Als Frau, die selbst zwei Geburten erlebt hat, weiß ich: Kaum etwas prägt sich so tief ein wie das Geburtserlebnis. Es sind Stunden, die so voll aufgeladen sind mit zahllosen Gefühlen, neuen Erlebnissen, der Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, der Kommunikation mit dem Partner, dass sie wohl nie in Vergessenheit geraten werden. Beide Geburten sind für mich ein Schatz, den ich immer mit mir trage. Ein Erlebnis von eigener Stärke, gutem Körpergefühl und grenzenloser Liebe.
Ich glaube so geht es den allermeisten Frauen. Selbst wenn die Erfahrungen der Geburt schwierig und zehrend waren. Sie bleiben doch ein wahnsinniges Erlebnis. Auch für die frisch gebackenen Väter.
All das ist wunderbar! Was mich allerdings irritiert ist, dass die Gespräche über Geburten zunehmend häufig einen Vergleichs-Charakter bekommen. Manchmal scheint mir sogar, sie werden zum Wettkampf. Zeit wird dann zu einem Erfolgsfaktor: Wer schnell gebärt, scheint besonders aktiv und effektiv gearbeitet zu haben. Komplikationen geben Abzüge in der Gesamtwertung. Verletzungen natürlich ebenso – ein Minuspunkt pro genähtem Stich. Wer scheinbar selbstbestimmt, stets zielorientiert und aktiv gestaltend durch die Geburt geht, steigt weit oben auf das Treppchen. Schmerzmittel, Hilflosigkeit oder Kapitulation werden nur milde belächelt: Was für eine schwache Leistung!
Ich möchte nicht behaupten, dass diese Gedanken mir restlos fern sind. Das wäre wünschenswert, aber eben unwahr. Es fühlte sich für mich gut an, kraftvoll und mitgestaltend zu sein. Ich glaube ich traf unter Geburt gute Entscheidungen für mich – und wurde von einer Hebamme begleitet, die mich verstand und hilfreiche Impulse setzte. Außerdem kannte mein Mann mich gut genug um zu wissen, dass seine Rolle in der vornehmen Zurückhaltung lag: Da sein, aber ja nicht nerven! Und es stimmt: Ich empfinde Stolz. Dieses Gefühl impliziert aber natürlich, dass ich die Möglichkeit hatte an dem Geburtserlebnis mitzuwirken. Und genau hier liegt auch eine Gefahr.
Wir können unsere Geburt mitgestalten – aber eben nur bis zu einem bestimmten Punkt. Wir können uns darauf vorbereiten, ein geeignetes Krankenhaus auswählen und uns ausreichend Wissen über Geburtspositionen, -orte und Atemtechniken zulegen. In der Situation selbst ist dann aber Vieles so anders – ganz besonders beim ersten Kind. Die Wehen überkommen uns, die Schmerzen sind völlig neuartig, das Hineinspüren in den Körper verlangt uns Vieles ab. Und plötzlich ist es ganz anders, als wir es uns vorgestellt haben. Aller Vorbereitungen zum Trotz, fangen wir an zu schwimmen, die immer stärker werdenden Wellen der Schmerzen wirbeln uns herum, wir verlieren den Boden unter den Füßen.
Eine Geburt ist nicht planbar. Sie kann sich in ungeahnte Richtungen entwickeln. Manchmal geht es dem Kind plötzlich nicht gut. Oder unser Körper arbeitet nicht ausreichend mit. Vielleicht helfen Schmerzmittel. Vielleicht hilft die empathische Begleitung durch eine Hebamme. Wir können dankbar sein, dass die Medizin zahlreiche Wege gefunden hat, die Geburt voranzutreiben und eine natürliche Geburt zu ermöglichen.
Suggerieren wir einander, dass eine Geburt ein Wettkampf ist, dann wird all das ignoriert. Dann geben wir vor wir könnten sie Kraft unseres Geistes gestalten. Als handele jede Frau, der das nicht gelingt, fehlerhaft. Als verdiene sie Punktabzug für die ungeahnten Herausforderungen vor die sie ihr Körper stellt. Und das ist wahnsinnig unfair!
Jede Frau, die sich entscheidet ein Kind zu bekommen, wird unter Geburt das leisten, was sie kann. Sie wird all ihre Kräfte, ihr Zutrauen in ihren Körper und ihre Hoffnung in ein gutes Gelingen zusammennehmen und damit in die Geburt starten. Niemand kann ihr vorher sagen, was sie erwarten wird. Jede werdende Mutter verdient die volle Punktzahl für diesen mutigen und aufreibenden Schritt!
Wir sollten uns miteinander freuen: Über die zuckersüßen Babys, die damit in unsere Welt treten. Und über das frisch gebackene Elternpaar, das einen riesigen Kraftakt hinter sich hat und nun hoffentlich den Zauber der ersten Tage zu dritt (oder viert, oder fünft…) genießt. Es ist kein Wettkampf, das Gebären eines Kindes. Es ist ein einmaliges Erlebnis, das Mütter und Väter dieser Welt miteinander verbindet und ihnen ein Schatz sein sollte. Ein Schatz, den sie tief in sich tragen und der sie stärkt und stolz macht. Und der nicht in Zahlen, in Erfolgsfaktoren, in Stärke und Schwäche, gemessen werden kann. Sondern der 100 Mut- und -Glückspunkte verdient!