
Ich empfinde eine tiefe Sehnsucht – die Sehnsucht nach einem anderen Kosmos. Dieser Kosmos ist weit weg von meinen Familien-Sphären und beschäftigt sich mit völlig anderen Dingen. Hier werde ich weder mit „Mama“ angesprochen noch in der Rolle der Familien-Managerin gesehen. Niemand interessiert sich dafür, ob das Abendessen geschmeckt hat oder die heiß geliebte Hose rechtzeitig und frisch gewaschen im Kleiderschrank liegt. Hier fühle ich mich nicht pausenlos verantwortlich für die Zufriedenheit und das Wohlergehen der Menschen um mich herum. Und bin dabei gleichzeitig maximal abhängig von ihren Stimmungsschwankungen – und diesen ziemlich ausgeliefert.
Nein. In diesem Kosmos wird sachlich miteinander gesprochen und werden Meinungsverschiedenheiten auf Augenhöhe ausgetragen. Hier wird weder geschrien noch mit den Fäusten auf den Boden gehämmert. Es herrscht nämlich vornehme Professionalität. Dieser Kosmos nennt sich Berufstätigkeit.
Irgendwann wurde mir bewusst, dass ich mich im Grunde permanent auf dieser einen Laufbahn befinde: Kreisend um das Familien- und Privatleben. Ich bin Mama, Partnerin, Freundin, Tochter, Schwester. Und versuche mich dabei als Individuum mit einer irgendwie gearteten (teilweise noch zu erforschenden) Persönlichkeit zu definieren. Aber all das hängt zusammen – ist untrennbar. Stets verwoben. Treffe ich Freunde, sind häufig die Kinder dabei. Und selbst, wenn das nicht der Fall ist, sind sie doch Thema. Verbringen mein Mann und ich wertvolle (und seltene) Stunden qualitativ genutzter Zeit zu zweit, besprechen wir Dinge, die Familienleben, Kinder und Haus betreffen. Diese Liste lässt sich fortführen. All das gehört zu diesem großen, bedeutungsschweren, immanenten Kosmos.
So verstand ich irgendwann, dass es neben der inhaltlichen Frage, wo ich beruflichen Sinn und Zweck für mich vermute, auch um die schlichte Sehnsucht geht, ein Paralleluniversum zu betreten. Eines, in dem es nur um meine beruflichen Kompetenzen, um sachliche Inhalte und maximal um die Beziehungsgestaltung zu Kollegen und Kundschaft geht.
Mit dem Schließen der Haustüre hinter mir, gewinne ich Abstand zu dem trubeligen Morgenprogramm: Einem 90-minütigen Sprint Richtung Kindergarten- und Büro-Tauglichkeit. Der erste Kaffee im Büro beschleunigt die Vitalisierung meiner müden Augen – den Zeugen einer unruhigen Nacht. Ein kleines Schwätzchen mit Kollegen, die Begrüßung der Sonne am geöffneten Bürofenster, der Laptop aufgeklappt: Die Anreise in mein Paralleluniversum ist geschafft.
Hier gilt mein Tempo, hier strukturiere ich die Stunden. Muss ich auf die Toilette, dann gehe ich einfach. Steht mir der Sinn nach einer kurzen Pause, nehme ich sie mir. Fachliche Gespräche mit dem Team finden in terminierten Meetings statt – mit festgesetztem Beginn und Dauer. Niemand überrollt mich lautstark mit den eigenen Wünschen, die sofort – unverzüglich – „jeeeeeetzt“ erfüllt werden müssen. Hier bin ich selbstbestimmt. Es zählt, dass ich eine gute Arbeitsleistung erbringe. Weg und Herangehensweise liegen ganz bei mir. Ich erfahre Wertschätzung. Selten sitze ich frustriert am Schreibtisch und verzweifele, weil niemand meine Leistung zu registrieren scheint und ich immer bloß Frust und Tränen ernte. Die Professionalität ist auch ein Schutz. Sie schirmt mich ab vor permantem emotionalen Involvement und lässt mich die Zeit leichtfüßig, effektiv und zufriedenstellend gestalten. Was ich mir vornehme, gelingt meist. Die Störfaktoren sind gering.
In diesem Kosmos – so hoffe ich – denke ich über weite Strecken nur an berufliche Dinge und kann mich in diesen Themen verlieren. Familienorganisation, private Termine und lange Haushaltslisten tangieren mich kaum – sie warten (geduldig) bis ich aufgetankt und im inneren Gleichklang wieder zurückkehre: Dahin, wo man mich meist antrifft und wo ich im Grunde auch furchtbar gerne bin. Dort wo meine Heimat ist und all meine tief empfundene Liebe wohnt. Denn mein Familien- und Privatleben sind mein zentraler Kosmos. So wünsche ich es mir und so soll es immer sein. Hier verbringe ich die meiste Lebenszeit. Die Menschen, denen ich hier begegne, bedeuten mir mein Leben.
Und doch; diese aufflammende Sehnsucht macht mir deutlich, was ich im Grunde eh schon weiß: Eine Pause des Gewohnten, ein neuer Blickwinkel, andere Themen. Die Rolle der berufstätigen Frau, die aufgrund ihrer Arbeitsleistung geschätzt und als Kollegin betrachtet wird. Und eben nur als Kollegin. Nicht als Lösung aller nur erdenklichen Probleme, als Boxkissen, Kummerkasten, Köchin oder Freizeitgestalterin. Diese Pause und der Rollenwechsel tun mir gut. Ich brauche sie sehr. Die anderen Sphären bringen einen Zauber mit sich.
Und sie sorgen für einen Einklang. Für einen Einklang in meinem Dreiklang.