Muster – wohin das Auge reicht

Muster – überall und ständig. Muster, wohin das Auge reicht. Sie vereinfachen den Blick, sortieren das Gehirn, entschlacken die Denkprozesse. „Mustermann“? Ein Standard-Typ, auswechselbar, grau, leicht zu durchleuchten und zu verstehen.

Muster – Beispiele einer Sache, Modelle, Prototypen. Wo wir gehen und stehen, was auch immer wir tun – die Muster sind stets da. „Ein Musterbeispiel“, „mustergültig“… heißt immer: Den Erwartungen entsprechend. Muster geben Orientierungshilfe. 

Unzählige Male am Tag suche ich nach Mustern oder Beispiele für mein Tun und Handeln. Ich plane eine Bastelaktion mit meinen Kindern? Ich suche nach Vorlagen im Internet. Das Verhalten meiner Kinder irritiert mich? Ich suche nach Ansätzen in der Fachliteratur, die Erklärungen darstellen. Wieder: Muster! Kinder in diesem Alter zeigen jenes Verhalten. Kinder fühlen so… agieren auf folgende Weise…. Und ich lerne: Alles klar, da ist ein Muster, da passt mein Kind hinein. Das erscheint mir erstrebenswert. Denn, tut es das nicht, dann fangen die Probleme an. Außerhalb von „mustergültig“? Lieber nicht!

Ich lese Stellenanzeigen und suche nach Profilen, die zu mir passen. Da formulieren Personaler Mustermenschen, denen Bewerber möglichst ideal entsprechen sollen. Die Vorgaben erfüllen, sich einer Schablone ähnlich über ein Anforderungsprofil legen. Konformität und Gleichschritt sind gefragt.

Ich denke in Mustern, ständig, überall. Ich suche sie und nehme sie als Entlastung wahr. „Das ist ja wie bei XY“. Dieser Gedanke beruhigt mich schlagartig. Ich passe ins System. Ich suche nach dem immer Gleichen, dem mir Gleichen. Oder versuche eben, in die Muster zu passen. Mich hineinzuquetschen. Manchmal hineinzuquatschen. Rosarot zu malen, schillernd, vertuschend, aufpolierend. Irritierend. 

Warum das alles? 

Wer hat jemals beschlossen, dass Frau Musterfrau und ihr mustergültiges Musterbeispiel das Ziel all meiner Träume sein sollen? Wieso ist das Ende der Mühen dann geschafft, wenn ich ins System passe? Einer Schablone ähnlich agiere. Natürlich vereinfacht es mir das Leben, in Mustern zu denken und mich entsprechend der Systeme zu verhalten. Denn in allererster Linie muss ich dann viel weniger denken. Und schon gar nicht um die Ecke.

Um die Ecke zu blicken ist schwierig; eigentlich unmöglich. Auch ohne all die Muster, die sich mir stets aufdrängen, ist das ein komplizierter, kreativer Akt. Denn: Wie gelingt mir das? Geradeaus sehen, oder zurück – das klappt. Auch die Augen kann ich schließen, wenn mir die „Du müsstest“ und „Du solltest“ die Laune vermiesen. Aber um die Ecke? 

In Mustern denken fällt mir leicht. Es ist unheimlich bequem und macht das Leben einfach – einerseits. Andererseits gibt es mir das Gefühl, fehlerhaft zu sein, wenn ich trotz all des Baucheinziehens und Rückenstreckens, einfach nicht in die Schablone passe. Gravierender noch, wenn es meinen Kindern so geht. Und möchte ich, dass sie das lernen? Das parat bei Fuß stehen ein Ideal ist? Und wem das nicht gelingt, der wird als Sonderling durch das Leben gehen? Gemäß dem Motto: Passe in die Muster oder du bist außen vor?

Ich plädiere nicht für die Abwendung vom System. Eine Gesellschaft funktioniert über Regeln, Muster. Sie sind Vereinfachungen und machen Zugehörigkeit fassbar. Nur mit ihnen können große Konstrukte funktionieren.

Aber manchmal da scheint es mir, als hätten wir das Regel-ferne Denken verlernt. Oder nie richtig gelernt? Als kleine Kinder, da sind sie da: Diese kruden Ideen, das natürliche Hinterfragen von allem, was wir für selbstverständlich halten. „Das ist eben so. Gewöhn dich dran.“ „Ordne dich unter, finde deinen Platz.“ Einen Platz im schon Gegebenen, werde das Abbild einer Schablone, arbeite und lebe mustergültig. Meinen Kindern wünsche ich, dass sie noch lange wild, laut und wunderbar sein dürfen – und dass es ihnen gelingt, um die Ecke zu blicken (Wie macht man das bloß???). 

Und eigentlich wünsche ich mir das auch. Es erfordert Kreativität., Mut und das Durchwirbeln des Gehirns. Neu denken, anders betrachten, auf den Kopf drehen. Einmal kräftig schütteln, etwas Glitzer dazu… 

Sie lauern überall, diese Muster. Und ja, sie sind für etwas gut. Aber manchmal, da drängen sie sich so schnell auf, dass sie das Weiterdenken verhindern. Dann stellen sie eine schnelle Antwort dar und fordern mich nicht darin, kritisch zu reflektieren. Ich gebe mich zufrieden, wo echte Zufriedenheit noch gar nicht existiert. Ich sortiere zu und ein, wo es vielleicht auch Neues zu entdecken gäbe und wo Schubladen viel zu begrenzt erscheinen. Dann helfen diese Muster nur vordergründig. Langfristig lassen sie jedoch das Gefühl zurück, dass da Luft nach oben wäre. Und dass es außerhalb ihrer Mauern möglicherweise eine Menge zu entdecken gäbe. Ungeahntes. Ungesehenes. Unberührte Orte. Neue Gedanken und Ideen. 

Und genau da möchte ich hin: An diese Orte, an denen alles möglich erscheint und die Kreativität schalten und walten kann: Wild und laut und wunderbar. Mühsam ist das? Mag sein! Potenziell konflikthaft? Ganz bestimmt! Aber es macht mich neugierig und es belebt. Und wer weiß, vielleicht gelingt es mir eines Tages und ich denke tatsächlich. Um die Ecke.

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