
Eltern beobachten und beurteilen Eltern – Mütter gehen mit Müttern hart ins Gericht. Vermutlich sind sie die härtesten Kritiker überhaupt. Warum ist das bloß so?
Eigentlich müsste man doch annehmen, dass wir einander unterstützen. Wer, wenn wir nicht wir, kennt all die Themen, die (junge) Mütter tagtäglich beschäftigen? Weiß um die Zweifel, die Sorgen, die Anstrengung, die Abgeschlagenheit?
Ständig blicken die einen auf die anderen herab. Sie urteilen viel zu vorschnell. Ohne nachzufragen, zu verstehen, sich einzufühlen, werden plakative Aussagen gefällt. Es werden Titel wie „Schlechte Mutter“ vergeben. Das bezeichnet vermeintlich desinteressierte, uninformierte Kreaturen, die irgendwann einen großen Fehler begingen: Sie bekamen ein Kind! „Wieso hat sie überhaupt ein Kind bekommen? Sie interessiert sich gar nicht dafür!“
Eine Mutter sitzt auf der Bank des Spielplatzes, beobachtet ihre Kinder beim Klettern und telefoniert. Für viele Mustereltern ein Dorn im Auge. Das Verhalten wird binnen weniger Sekunden analysiert: Diese Frau gehört der Gattung „desinteressierte Mütter“ an. Klare Sache! Wer am Spielplatz nicht permanent den eigenen Sprösslingen hinterher läuft und jeden ihrer Schritte mit einem lautstarken „Bravo“ feiert, der disqualifiziert sich vollumfänglich als taugliche Mutter.
Eine Mutter sitzt auf der Bank des Spielplatzes. Es ist 15.00 Uhr. Ihre Kinder sind seit 6.00 Uhr putzmunter. Seit diesem Zeitpunkt ist sie im Dauereinsatz. Der Kindergarten hatte gebeten, die Kinder zu Hause zu halten, wenn möglich. Personalknappheit in dieser Woche. Sie hat den Haushalt am Abend erledigt und die Arbeitstermine verlegt. Nach vielen Stunden vorlesen, spielen im Kinderzimmer, kochen und kuscheln, sitzt sie nun das erste Mal an diesem Tag für mehr als zwei Minuten. Sie ist dankbar für diese Pause. Sie nutzt sie, um zwei überfällige Arzttermine zu vereinbaren und ein kurzes Telefonat zu führen.
Eine schlechte Mutter??? Natürlich spürt sie die Blicke. Und schon bevor sie diese wahrnahm, war ihr nicht wohl dabei, das Handy zu zücken. Auf dem Spielplatz. Sie fühlte schon die anrollenden Beurteilungen anderer. Oder sind es die eigenen? Da ist es wieder, dieses schlechte Gewissen! „Deine Kinder sind klein, du solltest ihnen die volle Aufmerksamkeit schenken. Leg das Handy beiseite!“
Es ist doch eh in uns allen: Das schlechte Gewissen. Dieser Dauerbegleiter bei all den Tätigkeiten, die wir ohne die Kinder tun. Obwohl wir zur gleichen Zeit mit ihnen spielen könnten. Mir scheint, nahezu jede Mutter geht mit sich selbst hart ins Gericht. Sie versucht ihrem eigenen Ideal zu entsprechen und straft sich dafür ab, wenn ihr das nicht gelingt.
Wieso werfen wir also Steine?
Mir fehlt das ehrliche Gespräch darüber. So häufig begegnen wir idealisierten Darstellungen der perfekten Power-Mutter. Mütter reagieren auf einander nicht mit Verständnis und Mitgefühl. Sie entlasten ihr Gegenüber nicht durch Aussagen wie „Das kenne ich, ist mir auch schon passiert.“ Sondern sie stellen ihr ideales Familienleben dar. Das allzeit nahe, kuschelige, bedürfnisorientierte Zusammenleben. Immer harmonisch, stets einander zugewandt. Sie sprechen nur mit wenigen darüber, dass sie manchmal nicht weiterwissen. Und dass es ihnen gelegentlich schmerzlich fehlt: Dieses kinderlose, spontane Ich, das selbstbestimmt und unabhängig durchs Leben ging.
Lieber verurteilen wir die Mutter mit dem Handy in der Hand. Oder jene im Supermarkt, die plötzlich laut wird und mit ihrem Kind schimpft. Wir werten die Eltern ab, die ihr Kind schon mit einem halben Jahr in die Kita schicken. Nachfragen ist mühsam, Verständnis aufbringen kostet Kraft und Zeit. Es wäre ja denkbar, dass es Erklärungen gibt, die völlig eingängig sind. Ein echtes Gespräch auf Augenhöhe machte vielleicht sichtbar, dass da mehr ist als schwarz und weiß. Menschen könnten einander überraschen und fest verankerte Weltbilder würden ins Wanken geraten. Aber das verlangt die Bereitschaft für ein echtes Gespräch. Ein Gespräch, das aus dem Interesse erwächst, einander zu verstehen. Und nicht bloß zu verurteilen, sich selbst zu bestätigen (und aufzuwerten) und den eigenen Blick auf die Welt zu unterstreichen. Da ist es viel einfacher in Schubladen zu sortieren und Vorurteile nicht zu hinterfragen.
Machen wir einander das Leben damit schwer? Ja! Überall lesen und hören wir, dass wir uns solidarisieren und miteinander stark sein sollten: Für eine echte Gleichberechtigung in Gesellschaft und Berufsleben, für die Anerkennung der Sorgearbeit in der Gesellschaft, für gleiche Löhne und gleiche Chancen. Aber mir scheint, wir können nicht aus unserer Haut. Es ist so viel einfacher zu verurteilen als zu verstehen. Und wir fühlen uns – wenn auch nur für einen kurzen Moment – überlegen und stark.
Ich bin der festen Überzeugung: Reden hilft! Fast immer! Aber das erfordert eine echte Bereitschaft dazu. Und daran, so scheint es mir, mangelt es (noch) häufig.
Was ich mir wünsche? Weniger Steine und weniger vorschnelle Urteile! Mehr Interesse aneinander. Und zwar aus einem wohlwollenden, offenen Blick heraus. Für ein WIR; ein GEMEINSAM.