
Seit ich denken kann, sind Freundschaften für mich ein Eckpfeiler meiner Zufriedenheit. Steht dieser stabil und sicher, geht es mir gut. Gemeinsam gehen wir durch das Leben, sind füreinander ansprechbar und für alle Späße zu haben. Sie geben mir Selbstsicherheit: Ich scheine eine wertvolle Freundin zu sein.
Ich kämpfte viel und engagiert für den Erhalt enger Freundschaften. Ist das Engagement der anderen mäßig, war ich lange Zeit schnell enttäuscht und verletzt. Ich fühlte mich in meinem Wert als Freundin nicht gesehen und verstand nicht, warum mein Gegenüber die Prioritäten anders setzte. Offenbar waren Freund:innen nicht für jeden in meinem Umfeld wertvolle Schätze, die es zu behüten und zu pflegen galt.
Was ich lange nicht verstand war: Nicht jede Freundschaft hält für das Leben. Manche Menschen passen wunderbar in bestimmten Abschnitten dazu, in anderen wird man einander fremd. Dann werden die Unterschiede bedeutsam und die Gemeinsamkeiten verschwindend gering. Wir alle verändern uns mit der Zeit und bemerken beizeiten, dass lieb gewonnene Menschen an Glanz verlieren. Wir betrachten sie in unserer Schatztruhe nahestehender Personen und denken: Was hat mir an dir einmal so gefallen? Deine Besonderheit ist für mich nicht mehr erkennbar.
Als ich die Schule verließ, hatte ich den ehrgeizigen Plan zu allen unserer Clique die Freundschaft zu erhalten. Wir hatten gemeinsam die Schulbank gedrückt und unzählige Wochenenden miteinander verbracht. Die Monate rund um unser Abi waren wahnsinnig intensiv und für das Leben verbindend gewesen – so dachte ich damals. Es folgten einige frustrierende Erlebnisse: Manche dieser Freund:innen ließen Schule und die damit verbundenen Menschen schlicht hinter sich und starteten offen und kontaktfreudig in den nächsten Lebensabschnitt.
Mir fiel das schwerer; lange hing ich zwischen den alten Freund:innen samt unserer Heimatstadt und dem Studentenleben in Köln. Jedes Abkühlen einer alten Freundschaft erlebte ich als persönlichen Misserfolg – wieso war ich nicht dazu im Stande, diese Menschen an mich zu binden? Was war falsch an mir oder jedenfalls nicht bedeutsam genug, um den Kontakt zu erhalten?
Erst als ich mir selbst erlaubte, neue Freundschaften zu schließen, konnte ich den Schmerz der verlorenen besser verkraften. Auch in mein Leben traten neue Menschen, die mir wichtig wurden und mit denen ich wunderbare Erlebnisse teilte. Sie kannten zwar nicht die Schul-Version von mir und uns verband keine durch- und überlebte gemeinsame Jugend, dafür lernten sie ein erwachseneres Ich kennen. Ich begriff langsam, dass das seine Vorzüge hatte. Und dass es spannend war, neue Menschen kennenzulernen und deren Sicht auf das Leben, deren Geschichten und Werte zu erfahren.
Traf ich meine alten Freunde aus Schulzeiten, dann war zu vielen von ihnen die Verbindung nah wie eh und je. Wir verstanden uns blind und fühlten mit den Sorgen, Fragen und Gedanken der anderen. Manche von ihnen allerdings rückten zunehmend weit weg. Ohne die rosarote Brille der engen Verbindung verloren sie an Attraktivität. Unsere Freundschaft wurde tatsächlich zunehmend zu einer Geschichte der Vergangenheit – auch für mich.
Als ich die Uni verließ und arbeitete, war es schon nicht mehr so schlimm: Viele meiner Freunde aus diesem Abschnitt rückten weiter weg. Wir hatten eine tolle Zeit miteinander erlebt und nun ging jede® wieder neuer Wege. Als ich schließlich schwanger wurde und wir Köln verließen, setzte sich dieser Prozess fort: Über Schwangerschaft und das Leben als frisch gebackene Familie veränderte sich unser Blickwinkel. Wir lernten wiederrum neue Menschen kennen, deren Lebenssituation der unseren ähnelte. Das war mir sehr wichtig und die Kontakte zu anderen Eltern taten gut.
Heute, im fünften Jahr als Familie, blicke ich versöhnlich und ruhig auf dieses Thema: Nicht jede Freundschaft hält für das Leben. Diese Erfahrung habe ich mittlerweile mehrfach gemacht und erfahren, dass es mir damit gut geht. Denn obwohl ich bis heute um eine Freundschaft trauere, wenn ich spüre, dass sie sich dem Ende neigt, habe ich gelernt das anzunehmen. Es wertet die gemeinsame Zeit nicht ab. Wir waren füreinander wichtig und taten uns gut. Mit jeder/jedem Einzelnen verbinde ich einmalige Erlebnisse. Ich wünsche mir, dass ich diese Erinnerungen immer in mir tragen werde – wie wertvolle Schätze.
Aber in die nächste Lebensphase lassen sich eben nicht alle Kontakte hineinretten. Manche scheitern an unterschiedlichen Lebensmodellen oder Wertevorstellungen, andere schlicht an der Geographie. Was auch immer der Grund ist – das ist ok.
Vielleicht ist es auch deshalb für mich ok, weil es da auch die anderen Freundschaften gibt. Jene nämlich, die seit der Schulzeit bestehen und geblieben sind. Die ich damals wie heute zu meinen wichtigsten Bezugspersonen zähle und die mir (neben meiner Familie) die Welt bedeuten. Die mir stets zur Seite stehen, was auch immer geschehen mag. Denn aller Lebensweisheit zum Trotz und der Akzeptanz des Kommens und Gehens von Freundschaften: Diese Menschen bleiben. Ein Leben lang. Sie sind bis heute bedeutsame Eckpfeiler. Sie kommen und gehen nicht mit den Wogen des Lebens. Sie trotzen der Unterschiedlichkeit oder Hindernisse.
Mit diesem Zufluchtsort im Rücken dürfen all die anderen Freundschaften kommen und gehen. Denn dieser Kreis an Menschen ist tief verschlossen in meiner Schatztruhe. Und dort wird er bleiben – mein Leben lang.