„Seid doch mal dankbar, verdammt. Ist euch eigentlich bewusst, wie gut ihr es habt?“ Wenn das Eltern-sein frustrierend ist, dann denke ich sowas gelegentlich. In diesen Phasen macht sich das Gefühl breit nicht durchzudringen zu meinen Kindern. Eher noch empfinde ich es, wenn mich ihr „gedankenloses“ Verhalten verletzt. Wenn sie sich, ganz Entwicklungs-konform, voll und ganz ihrem egoistischen Blickwinkel hingeben. „Seid dankbar, ihr privilegierten, verwöhnten Gören! Es geht euch so verdammt gut!“
Dankbarkeit einfordern? Von einer Zwei- und einer Vierjährigen erwarten, dass sie Demut empfinden für ihre Lebensumstände? Nein, das steht mir schlicht nicht zu! All das, was wir tun. Die zahllosen, investierten Gedanken. All das Grübeln, all die Sorgen. Wir bringen so viele Anstrengungen auf, um es richtig zu machen. Um „gute“ Eltern zu sein. Das ist viel. Manchmal zu viel, mag ja sein. Aber ganz ehrlich: Dieses Schicksal haben wir selbst gewählt. Wir wollten es ja wissen, wie das Leben so ist. Als Familie. Nun lernen wir das kennen. Mittlerweile wissen wir, dass es müde machen kann. Hilflos und rasend wütend. All die Gefühle sind ok.
Aber: Wir sind die Erwachsenen. Es ist unsere Aufgabe diese Gefühle wahrzunehmen. Sie einzusortieren, sie zu kanalisieren. Keineswegs müssen unsere Kinder davor grundsätzlich verschont bleiben. Und natürlich dürfen sie unsere Anstrengung spüren und erleben, dass wir manchmal überfordert sind und nicht weiterwissen. Oder dass wir uns eine andere Reaktion, eine andere Stimmung gewünscht hätten. Aber ein „Danke, dass ihr so tolle Eltern seid und mir ein solch zauberhaftes Nest bereitet“? Ein Kind, das so etwas sagt, plappert es nach. Aber sein Radius ist begrenzt. Und – obwohl die Eltern lange Zeit die unangefochtenen Stars sind – sie sind auch die besten Kandidaten, um streiten zu üben. Um Wut loszuwerden, sich abzureagieren, trotzig zu sein. Um sich über die eigenen Misserfolge bis zur Weißglut zu ärgern und bei jedem Versuch der Unterstützung wahnsinnig zu werden. Genauso soll es sein. Ein kämpferisches Kind ist ein sicher gebundenes. Es ewig lächelndes, vermeintlich dankbares, eher das Gegenteil. (Dieses Wissen hilft mir über so manchen Konflikt hinweg.)
Sich nach Dankbarkeit zu sehnen, ist ok. Aber es fühlt sich trotzdem blöd an. Denn, das einzufordern ist vermessen. Wir haben entschieden diesen unbekannten, sagenumwobenen Weg des Eltern-Werdens zu gehen. Wir wollten dieses Leben – für uns. Niemand fragt Eizelle und Spermium, ob sie Bock haben zu verschmelzen. Oder lässt ein werdendes Kind abwägen, ob es zu dieser Zeit in diesem Land und bei diesen Eltern geboren werden möchte. Kein (leibliches) Kind sucht sich seine Eltern aus. Es ist das Produkt der Liebe. Bestenfalls. Vielleicht auch der Unachtsamkeit, den Nöten lauter werdender biologischer Uhren oder dem Mangel an Alternativen.
Wir haben uns bewusst entschieden. Und völlig ungeachtet der Tatsache, ob uns in vollem Umfang bewusst war, worauf wir uns da einlassen: Wir tragen die Verantwortung. Es ist an uns unseren Kindern die bestmöglichen Eltern zu sein und dafür alles in unserem Kraftpensum Liegende zu tun. Ihnen Geborgenheit, Schutz und Liebe zu schenken. Sie zu versorgen, ihre Bedürfnisse aufmerksam wahrzunehmen und bei der Erfüllung der meisten hilfreich zu sein.
Wir haben sie in diese Welt gesetzt – Widerstände zwecklos! Jetzt ist es an uns es ihnen hier schön zu machen. Dankbarkeit zu verlangen, ist vermessen.
Nein, meine Kinder müssen keine Dankbarkeit dafür empfinden, dass ich stundenlang mit ihnen spiele. Oder, dass ich aufwendig gekocht habe, damit es gesund und ausgewogen ist und dabei allen schmeckt. Sie müssen auch nicht „Danke“ sagen für unser Wohlstandsleben oder dafür, dass wir versuchen Konflikte mit ihnen vernünftig zu lösen. Auf Augenhöhe und samt aufmerksamem Zuhören. Sie leben in Deutschland 2021 und haben ein verdammtes Recht auf all das! Und auf noch so Vieles mehr. Kinder müssen nicht wahrnehmen, „wie gut es ihnen geht“. Und wenn sie schreiendes Unrecht empfinden, weil sich die Schlafenszeit nähert oder es keinen Nachtisch gibt, ist das ok.
Und: Vielleicht kommt sie ja irgendwann, die Dankbarkeit. Ganz von alleine, ungezwungen. Und damit tief empfunden. Das wäre ein großes Glück! Wenn es uns gelungen ist, ihnen all das zu geben, worauf sie ein Anrecht haben; auf Liebe, Geborgenheit, Fürsorge. Dann blicken sie zurück auf ihre sicher geborgene Kindheit und Jugend und empfinden ein warmes Gefühl. Dann denken sie, oder sagen sogar, dass da viele bunte und wunderschöne Erinnerungen sind. Dass wir ihnen, ganz besonders in der verwirrend verworrenen Jugend, wunderbare Eltern waren. Dass sie Vieles so machen möchten wie wir. Dann sagen sie „Danke“. Vielleicht.
Und wie wäre es mal mit tief empfundener Dankbarkeit für die eigenen Kinder? Dafür, dass sie gesund sind. Dass sie starke Charaktere sind mit eigenem Willen, die für sich selbst einstehen und bis oben hin voll sind mit Gefühl und Emotion? Dafür, dass wir in einem wohlhabenden, sicheren Land leben, dass wir Kinder bekommen konnten, als wir es wollten… Wir sind die Erwachsenen hier. Wir können all das abgewogen betrachten. Von uns darf man durchaus Dankbarkeit, oder jedenfalls Demut und Wertschätzung, verlangen.