Du hast mich nicht gefragt, deshalb erzähle ich es dir jetzt. Wie mein Leben so ist, seit ich Mutter bin. Schon klar, ich bin sie nicht mehr, diese lebenshungrige, freie, spontane Person aus meinen Zwanzigern. Mit der konntest du Spaß haben, ich weiß. Was ist noch von ihr übrig, fragst du dich?
Was ist noch von uns übrig – das frage ich mich!
Lange habe ich versucht, dem Bild einer hippen Mutter zu entsprechen. Oder vielmehr: Deinem Bild von Frau mit Kind. So dass ich nach wie vor in dein Lebenskonzept passe. Das war mühsam, denn ich musste anders sein. Ich sagte nicht, wenn ich an meine Kinder dachte und schon gar nicht, wenn ich sie vermisste. Denn so fühle ich mich, wenn ich länger ohne sie unterwegs bin: Ich genieße das, aber ich denke auch immer wieder an die beiden und frage mich, wie es ihnen geht.
Ich weiß, das findest du albern. Aber weißt du was: Ich habe Kinder! Auch, wenn sie in unserer Unterhaltung keine Rolle spielen. Wenn du nicht nach ihnen fragst, oder nach mir fragst in diesem neuen Leben. Auch wenn du so tust, als hätte sich nichts geändert zwischen uns. Als sei dein Leben irre spannend und jedes Detail darin für mich erhellend. Und meines eben nur öde: Kinder- und Familienkram. Wen interessiert das schon?
Mich! Weißt du, mich interessiert all das. Denn ich bin Mutter. Und so abstrus das für dich sein mag, ich finde mein Leben äußerst spannend. Denn täglich passiert etwas Neues, etwas Unvorhersehbares. Diese Rolle als Mutter fordert mich auf unendlich vielen Wegen. Es ist ein irres Gefühl, wenn ein Kind in dir heranwächst. Und wenn es erstmal auf der Welt ist, dann fühlt sich alles so neu und anders an. Wirklich wahr! Die Verantwortung kann eine Last sein und ich werde sie wohl nicht los, diese Fragen: Machen wir das richtig? Gelingt es uns unseren Kindern einen Lebensraum zu schaffen, in dem sie sich weitgehend frei und wunderbar entwickeln können? Welche Entscheidungen, welche Fehler werden uns irgendwann um die Ohren fliegen?
Und so Vieles mehr! Ich würde mich gerne mit dir darüber austauschen und dir davon erzählen. Es wäre doch interessant zu hören, wie du auf all das blickst. Manches ist sicherlich schwierig nachzufühlen. Ein schlechtes Gewissen, sobald ich etwas für mich tue in dem Bewusstsein, dass meine Kinder etwas anderes bräuchten? Das mag befremdlich sein. Aber du bist ein kluger Kopf und empathisch kannst du sein: Vielleicht hast du Gedanken und Anregungen, die für mich hilfreich sein könnten. Reden hilft. So häufig!
Aber das setzte voraus, dass du mich fragst. Oder mir aufmerksam zuhörst. Dass du verstehen möchtest, in welcher Welt ich heute lebe und was mich beschäftigt und umtreibt. Und das tust du nicht, so scheint mir. Deshalb erzähle ich es dir.
Denn du hast völlig recht: Unsere Leben unterscheiden sich stark voneinander. Das war früher anders. Aber ich weigere mich hinzunehmen, dass Unterschiedlichkeit stets zu Argwohn und Abstand führen muss. Es ist doch spannend, mal die eigene Blase zu verlassen und in die Lebenswelt anderer einzutauchen. Aber wenn wir uns sehen, dann tauchen wir nur in deinen Gewässern. Dann höre ich deine Großstadt-Geschichten und die so vieler Bekannter mehr (die ich kaum kenne und die mich wirklich nicht interessieren). Und umso tiefer wir tauchen, umso schwärzer sehe ich, wenn ich auf unsere Freundschaft blicke.
Denn ich kann es nicht ignorieren: Es trifft mich, dass du dich für meine Kinder und meine Familie kein bisschen erwärmen kannst. Ob dir das passt oder nicht: Es ist mein Leben. Vielleicht gibt’s hier weniger Glamour und Spontaneität. Vielleicht bin ich mit ganzem Herzen eine Mama und voll und ganz involviert in diese Rolle – denn sie ist für mich gerade die wichtigste Rolle überhaupt.
Was ist von uns noch übrig, frage ich mich dann. Ich habe viele Jahre eine tiefe Freundschaft zu dir empfunden. Wir hatten eine tolle Zeit! Aber ich möchte dir nichts vorspielen, um deinem Ideal zu entsprechen. Ich bin wie ich bin und damit ganz zufrieden. Meine Werte, mein Blick auf die Welt, die Wichtigkeiten haben sich für mich verschoben, seit wir eine Familie sind.
Gelingt es uns nicht (mehr) miteinander zu reden – und zwar wirklich zu reden – dann bleibt für die Zukunft nicht viel. Dann können wir dann und wann miteinander feiern und in den Erinnerungen an unsere gemeinsam verbrachten Zwanziger schwelgen. Das war eine tolle Zeit, ohne Zweifel. Ich denke gerne daran zurück und sie ist ein Schatz, für den ich sehr dankbar bin. Aber vielleicht kommen wir irgendwann zu dem Schluss, dass wir keine Verbindung finden zwischen unseren Leben. Dass unsere Blasen nicht kompartibel sind und das Gemeinsame in der Vergangenheit liegt. Dieser Gedanke macht mich traurig, aber er ist ok. So ist das Leben. Manche Freundschaften gehören zu bestimmten Lebensphasen und mit deren Ende finden sie auch das ihre.
Ich werde dich in Ehren halten. Und uns. Dein Platz in meiner bunten Lebensgeschichte ist unwiderruflich gesetzt. Du warst für mich einmalig. Ich danke dir von Herzen für all das! Und so wirst du – ob du es willst oder nicht – deine Rolle bekommen in unserer Familiengeschichte. Denn ich werde meinen Kindern von dir erzählen. Von unseren fantastischen Zwanzigern – jung, frei, spontan. Ich werde Fotos zeigen und herzhaft lachen. Und vielleicht die eine oder andere Träne verdrücken. Bei all den Erinnerungen.