Der Vorher-Nachher Effekt

„Nach der Elternzeit möchte ich mit mindestens 25, eher 30 Stunden zurück in den Job. Meine Arbeit bedeutet mir viel und ist für meinen Selbstwert sehr wichtig. Vermutlich sehne ich mich nach Abwechslung und mein Kind ebenso – die Betreuung kommt dann gerade recht.“

Es gibt eine Vielzahl von Annahmen zu dem Leben mit Kind. Ideen und Vorstellungen, die wir vor der Geburt haben. Wir haben ein lebendiges Bild davon wie wir uns als Mütter fühlen werden. Was uns gut tun und welchen Stellenwert Familien- und Berufsleben haben werden. Nahezu jede Mutter mit der ich darüber spreche, hatte ein recht konkretes „Vorher“ – ein fiktives Bild, welches ihr auf Basis ihrer bisherigen Erfahrungen, ihrer Selbstwahrnehmung und ihrem beruflichen Erleben realistisch erschien.

Und dann ist es soweit und das Kind ist da. 

In den ersten Wochen gilt der Fokus nahezu 100 Prozent dem Nachwuchs. Übrig gebliebene Kräfte werden in die Selbstversorgung investiert. Haben wir einander zunehmend kennengelernt, steigt die Bereitschaft für „die Welt da draußen“. Erste Aktivitäten werden geplant, Kontakte wieder gepflegt. Ein Alltag erhält Einzug, der jedoch zunächst instabil erscheint und erprobt werden muss.

Ganz gleich ob nach zwei, sechs, zwölf oder vierundzwanzig Monaten: Irgendwann kommt der Moment des beruflichen Wiedereinstiegs. Und damit findet ein Abgleich statt von dem, was wir damals, in der Schwangerschaft, dachten zu fühlen und dem, was wir nun fühlen. Von der Idee, welchen Stellenwert die Arbeit für uns haben würde und dem tatsächlichen Stellenwert, den sie nun hat. Plötzlich fühlen sich die Dinge ganz anders an. In der Theorie war schwer vorstellbar wie es sein würde, das Kleinkind in Betreuung zu geben. Empfindungen wie Trennungsschmerz, Scham und Egoismus treffen uns unerwartet. 

Viele Mütter stellen plötzlich fest, dass sie eine völlig andere Idee von ihrem Leben mit Kind hatten, als es die Realität nun zeigt. Das „Nachher“ erhält Einzug und es ergibt sich mitunter ein „Vorher-Nachher-Effekt“, bei dem Vorstellung und Realität voneinander abweichen.

Manche Frauen gingen davon aus, dass der Beruf zukünftig nur eine untergeordnete Rolle spielen würde. Dass er Mittel zum Zweck sei, um ausreichend Geld für die Familienkasse beizusteuern. Dass der eigene Fokus aber ganz dem Familienleben gelten würde. Mit dem Kleinkind zu Hause stellen sie fest, dass sie ihre Arbeit sehr vermissen. Und dass der Job ihnen Anerkennung und Wertschätzung verschafft, die für sie sehr bedeutsam sind und die sie im Familienkontext nicht erhalten. Sie sehnen sich nach der Auszeit von Kindergeplapper und -gezeter und würden Arbeits- und Sorgearbeit gerne gleichberechtigt mit ihrem Partner aufteilen.

Bei anderen Müttern ist das Gegenteil der Fall. Sie hatten einen Wiedereinstieg in Vollzeit geplant und legten bei der Vorbereitung großen Wert auf ihre Karriereentwicklung. Mit dem Kind auf dem Schoß stellen sie zunehmend fest, dass die Arbeit an Bedeutung verloren hat und sie viel lieber mehr Zeit mit ihrem Sprössling verbringen würden.

Unzählige Frauen verspüren ein großes Verlangen nach beruflicher Umorientierung und Neugestaltung von Arbeits- und Familienleben. Die Zufriedenheit mit dem alten Job ist nicht mehr so hoch wie erwartet. Was früher attraktiv erschien, hat an Glanz verloren.

Neu entdeckte Karriere-Wünsche, ungeahnte Fokussierung auf das Familienleben, berufliche Veränderungswünsche und vieles mehr sorgen bei vielen Frauen dafür, dass die vor der Geburt geschmiedeten Pläne nicht mehr zufrieden stellen. Sie wünschen sich andere Inhalte bei der Arbeit, flexible Arbeitsplatzgestaltung oder neue Tätigkeitsbereiche. All diese Frauen erleben, dass das Gefühl „Mutter zu sein“ vorher nicht vorstellbar war. Und dass diese neuen Empfindungen und diese herausfordernde Rolle, neue Anforderungen und Ideen von der beruflichen Ausgestaltung mit sich bringen. Spontan umzudisponieren, ist dann häufig finanziell und organisatorisch schwer möglich. Die Arbeitgeber(innen) von Mutter und Vater sind häufig nicht so flexibel und haben sich auf die besprochene Arbeitsausgestaltung eingestellt.

Was können wir also tun, um agil zu bleiben und möglichst flexibel auf die beruflichen Wünsche nach der Elternzeit eingehen zu können? 

Gelingt es uns schon in der Schwangerschaft diesen Vorher-Nachher-Effekt zu bedenken, handeln wir Ergebnis-offen: Wir treffen möglichst wenige konkrete Aussagen darüber, wie wir nach der Elternzeit arbeiten möchten. Erhalten wir uns die größtmögliche Flexibilität, können wir der Situation entsprechend agieren. Wir können wahrnehmen, was unser Kind braucht und in welchem zeitlichen Umfang wir die Betreuung ausgestalten. Wir können mit unserem Partner besprechen, welches Modell für uns als Familie, für unsere Partnerschaft und die beidseitige Zufriedenheit das richtige ist. Wir können miteinander ausdiskutieren, wie wir die Aufteilung von Beruf und Care Arbeit so gestalten, dass es uns beiden gut damit geht. Wir fühlen in uns hinein und erspüren, welchen Platz wir der Arbeit gerne einräumen möchten. 

Es folgt ein Gespräch mit der/dem Vorgesetzten bei dem es darum geht ein Konzept zu entwickeln, das beide Seiten zufrieden stellt. Ein Konzept das zeitlich, inhaltlich und organisatorisch ausgearbeitet wird. Beide Seiten sollen dabei profitieren und mit der Ausgestaltung zufrieden sein. Es erscheint mir ratsam, sich auf ein solches Gespräch fundiert und detailliert vorzubereiten. Wir können uns überlegen, welche Vorstellungen und Ansprüche wir an unsere zukünftige Tätigkeit haben und Vorschläge entwerfen, die qualitativ gute Arbeitsergebnisse versprechen. Gelingt auf diese Weise ein erfolgreiches Entwicklungsgespräch, sind gute Grundsteine für eine beidseitig zufrieden stellende Zusammenarbeit gelegt.

Möchten wir Wege zur beruflichen Um- und Neuorientierung einschlagen, ist das sicherlich realistischer möglich, wenn wir dafür ausreichend Zeit einräumen. Dann helfen Alltags-freie Orte um kreativ und neu zu denken. Wenngleich ich es (aus der eigenen Erfahrung schließend) für sehr anspruchsvoll halte, verspricht dieser Weg für viele junge Mütter eine hohe berufliche und damit auch persönliche Zufriedenheit. Um ihn erfolgreich zu gehen, braucht es, neben Zeit und Muße, fundierte Beratung und Unterstützung auf inhaltlicher und organisatorischer Ebene. (In meinen nächsten Artikeln möchte ich hierauf intensiver eingehen.)

1 Kommentar zu „Der Vorher-Nachher Effekt“

  1. Hallo Kaja

    Sehr gut nachvollziehbar!

    Die Idee der Ergebnisoffenheit gefällt mir gut. Allerdings scheint es mir sehr wichtig zu betonen, dass beide Elternteile ergebnisoffen an die Frage, wie gestalten wir die nächsten Monate (und Jahre) nach der Geburt herangehen müssen. Tut dies nur ein Teil wirklich und der andere Teil halbherzig sind Konflikte vorprogrammiert.

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