Funken eines Kontaktversuchs

Du hattest entschieden, dass unser Kontakt auf Eis gelegt werden müsste. Jeden Versuch von mir daran zu rütteln, ersticktest du im Keim. Meine Nachrichten an dich wurden seltener, ich spürte zunehmend, dass ich mich von dir distanzierte. Plötzlich vergingen Tage, an denen ich kein einziges Mal an dich dachte. Oder an unsere Freundschaft, die so jäh geendet hatte. Es fiel mir leichter Bilder zu sehen. Von damals. Bevor er aufgetaucht war.

Es wurde ok. Ich merkte, dass meine Traurigkeit abnahm. Auch die Wut ließ nach. Ich schien in meinem Prozess der Verarbeitung voran gekommen zu sein. Am meisten setzte es mir zu, dass ich es immer noch nicht verstand. Aber trotz allem schien es so, als hätte ich mich arrangiert. Als sei ich über dich „hinweg“. Unser Freundeskreis bestand weiterhin. Hier und da bemerkten wir die Lücke noch, die du hinterlassen hattest. Aber sie schloss sich zunehmend. Andere lachten laut, packten mit an, planten mit uns Urlaube. Das Leben ging eben weiter – ohne dich.

An einem Donnerstag erhielt ich plötzlich eine Textnachricht von dir. Du entschuldigtest dich überschwänglich. Du schriebst du wüsstest nun, dass wir recht gehabt hätten und du von ihm belogen worden seist. 1,5 Jahre – eine einzige, erfundene Geschichte. Es täte dir alles so leid. Du hättest dich unmöglich verhalten. 

Ich war wie erstarrt. So lange hatte ich auf diesen Moment gewartet. Immer wieder stellte ich mir vor, dass du eines Tages vor meiner Türe stehen würdest. Geknickt und niedergeschlagen. Lange Zeit war ich sicher gewesen, dass da ein Weg zurück war. Ich hatte mir vorgestellt, wie wir sprechen würden. Wie du mir wirklich zuhören würdest und bereit wärst, meine Perspektive zu verstehen. Das erste Mal seit so langer Zeit. Wie du einsehen würdest, dass du mir keine Freundin gewesen warst in diesen schweren Corona-Monaten. Dass du nichts wüsstest von meinem aktuellen Leben und viel zu viel verpasst hättest. 

War das nun der Moment für ein solches Gespräch? 

Ich antwortete dir sofort. Ich versuchte meine Gedanken zu ordnen. Was war geschehen? Ich stellte ein weiteres Mal meine impulsmäßig hochflackernden Gefühle hinten an und hörte zu. Er lebte mit einer anderen Frau zusammen. Du warst immer nur die Zweite gewesen. Fast alles, was er dir erzählt hatte, stimmte nicht. All die Hoffnungen auf ein Leben mit ihm, verschwanden mit dieser jähen Erkenntnis. Er hatte nur an sich gedacht und dich zum Spielball seiner Bedürfnisse gemacht. 

Ich empfand tiefes Mitgefühl! Was dir zugestoßen war, war fürchterlich. Du hattest alles auf diese eine Karte gesetzt. Du warst bereit gewesen, ihm alles zu opfern. Und nun wurde deutlich, wie groß das Missverhältnis war: Du hattest ihm alles gegeben und er hatte dir wenige Tage im Monat geschenkt. Und nur einen kleinen Teil seines Herzens – wenn überhaupt. Ich stellte mir vor, wie es dir gehen musste. Alles brach zusammen; innerlich und äußerlich. Deine Selbstzweifel hatten dich schon immer gequält. Was war nun übrig von deinem Selbstwert und deiner Eigenliebe nach dieser niederschmetternden Erfahrung? 

Wir verabredeten uns und du berichtetest ausführlich. Ich hörte zu, fragte nach, kommentierte wenig. Zu ihm und seinem Verhalten fehlten mir die Worte. Ich konnte es kaum fassen, dass Menschen einander so etwas antaten. Du wirktest tief getroffen, dein Bericht klang jedoch recht distanziert. Als spaltetest du die starken Gefühle ab. Als wolltest du die tiefe Wunde nicht aufklaffen lassen, die da entstanden war. 

Ich fühlte mich erinnert an unsere wenigen Gespräche im letzten Jahr. Da war auch viel Hülle gewesen. Manchmal Wut. Wenig Emotionen. Deine ausbleibenden Gefühlsausbrüche hielten mich auf Distanz. Ich fühlte mich dir nicht nah. Die Vertrautheit war zwar geblieben, aber wir führten ein Gespräch auf Abstand. 

Ich merkte, dass etwas passiert war bei mir. Tatsächlich waren Wut und Enttäuschung kaum spürbar. Dann und wann flammten sie auf. Aber ich konnte dir gut zuhören und fühlte mich, als sei ich deine Beraterin. Es überkam mich der Gedanke, dass es ein Zurück vielleicht nicht mehr geben konnte. Unabhängig von der Frage, ob du dazu im Stande sein würdest. Ich fragte mich plötzlich, ob ich es noch sein könnte. Mein Leben war weiter gegangen. Ich hatte mich viel zu viel mit dir und deiner Beziehung beschäftigt, obwohl du mich konsequent daraus ausgeschlossen hattest. Ich hatte Theorien gesponnen, Erklärungen gesucht, war daran verzweifelt. Vielleicht hatte ich in den letzten Wochen – ohne es aktiv zu bemerken – mit unserer Freundschaft abgeschlossen. Möglicherweise war da sogar etwas wie Frieden. Nicht jede Freundschaft hält für das Leben. Eine Lektion, die ich eh dringend lernen musste. Und noch wichtiger: Es war ok. Es kamen neue Zeiten, neue Menschen. Manche blieben, andere eben nicht.

So gingen wir an diesem Nachmittag auseinander. Du hattest erzählt – ich (wieder) nicht. Das war völlig in Ordnung so. In meinem Kopf taten sich viele Fragen auf, ich versuchte mich zu sortieren. Was würde nun passieren?

In den nächsten Tagen schrieb ich dir gelegentlich. Ich wollte hören, wie es dir geht. Wollte signalisieren, dass ich ansprechbar war. Du antwortetest zügig und freundlich. Dann machte sich Unzufriedenheit breit. Der Ärger kam wieder hoch: Wieso gelang es dir nicht kleine Kontaktzeichen zu setzen? Mir mit minimalem Aufwand dein Interesse an einer Annäherung zu signalisieren? Du meldetest dich wieder nicht von dir aus – der impulshafte Hilferuf direkt nach der Entdeckung seiner Untreue war ein Einzelfall geblieben.

Wieder wusste ich mir nicht zu helfen. Das Muster schien sich erneut zu wiederholen: Ich rang um Kontakt, lief ins Leere. Ich schrieb dir, dass ich dein Verhalten nicht verstünde und dass ich ein wenig Engagement von dir erwartete, wenn es eine Chance auf eine Freundschaft geben sollte. Das war vor fünf Wochen. Seitdem habe ich nichts von dir gehört. 

So sitze ich wieder hier, zurück geworfen in Wut und Enttäuschung. Ich komme nicht weiter: Ich verstehe dich einfach nicht. Von Tag eins an habe ich es nicht verstanden: Diese Beziehung, dein Verhalten, deinen Umgang mit unserer Freundschaft. Ja, noch immer kann ich viel Vermutungen entwerfen und mir dein Verhalten erklären. Ich kann mir sagen, dass es dir gerade sehr schlecht geht, deine Welt zusammenbricht und du dich erst herauskämpfen musst aus dieser Zelle der Isolation, in die du dich befördert hast. Aber all das bringt mich immer mehr und mehr in eine Rolle, die der Freundschaft zu fern ist. Ich blicke als Beraterin darauf, versuche „therapeutisch“ zu denken. Aber das steht im Widerspruch zu unserer Beziehung. Das ist nicht meine Rolle und so möchte ich den Kontakt zu dir nicht gestalten. Und ich bin sicher: Du auch nicht!

Es gibt diese eine Sicherheit über mich, von der lasse ich mich nicht abbringen: Ich bin eine gute Freundin. Vielleicht sogar eine sehr gute. Ich habe stets ein offenes Ohr, ich bin fast immer erreichbar, ich denke mit. Und ich bin bereit mit meinen Engsten schwere Krisen zu bewältigen und dabei meine Bedürfnisse an Freundschaft über weite Strecken hintenanzustellen. Aber du und ich, wir sind seit bald zwei Jahren im Grunde nicht befreundet. Du hast den Pausenknopf gedrückt und ich musste das aushalten. Um befreundet zu sein, brauche ich ein Miteinander. Ein „für dich“ und ein „für mich“. 

Vielleicht verlange ich zu viel von dir in diesem Moment des Durcheinanders. Wenn du es so empfindest, tut mir das leid. Aber meine Batterien der Investition in unsere Freundschaft sind erschöpft. Investierst du nicht in ihre Aufladung, dann ist die Geschichte unserer Freundschaft nun zu Ende erzählt. Denn ich möchte nicht deine Beraterin sein, wir waren immer Freundinnen.

Seit der Mittelstufe. Erinnerst du dich? Wir haben zusammengewohnt, gelernt, gelebt. Weißt du das noch? Wir haben Freude geteilt, Lachen und Traurigkeit. Ich frage mich, ob du auch all das so tief verschlossen hast, dass die Erinnerungen dich nicht mehr berühren. 

So viele Gespräche, Tränen, Fassungslosigkeit… all das habe ich in den letzten Jahren investiert. Wir sind keinen Schritt weiter – und das heute ohne ihn. Er ist nicht mehr der Grund für dein Schweigen. Und das ist vielleicht die bitterste (und einzige wirkliche) Erkenntnis: Bislang war er für mich die Erklärung für all das. Nun ist er fort – und nichts ändert sich. 

„Was soll schon passieren?“, habe ich dich gefragt. Damals, als du mir von ihm erzähltest und so hin und hergerissen warst zwischen Faszination und Zweifel. So Vieles!

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