Herrliche Selbstzufriedenheit! Möge sie doch bleiben!

Ich habe zwei Töchter. Sie sind zwei und vier. Sie fühlen sich pudelwohl und sind mit sich zufrieden. Sie sind das Zentrum ihrer Welt und explodieren beizeiten, wenn wir drohen ihnen diesen Status abzuerkennen. Manchmal hadern sie mit sich. Dann versuchen sie Dinge zu schaffen, die andere Kinder machen. Sie eifern nach und ärgern sich maßlos über ihren Misserfolg. Aber das ist schnell vergessen – sie sind mit sich zufrieden.

Ich finde das wunderbar! Ich beobachte sie und bin fasziniert von dieser Selbstliebe. Von dem Gefühl völlig in Ordnung zu sein. Sie ist großartig – diese kindliche Zufriedenheit mit sich selbst.

Meinem erwachsenen Blick gelingt das nicht. Ich frage mich immer wieder: Werden sie mit dieser Eigenschaft Schwierigkeiten bekommen? Wie wird es ihnen mit jenem Charakterzug ergehen? Ich sehe sie vor meinem inneren Auge in der Grundschule, später in der weiterführenden Schule. Ich sehe sie älter werden. Ihr Radius vergrößert sich: Sie nehmen stetig mehr ihr Umfeld wahr. (Was in weiten Teilen ein großer Gewinn sein wird.) Aber das wird den Vergleich mit sich bringen: Wie sind die anderen? Wie bin ich? Und: Was wird von meinem Umfeld als „richtig“ bewertet – passe ich in dieses Bild?

Es macht mir Bauchschmerzen. Die Vorstellung, dass sie mit sich unzufrieden sein und mit sich selbst hart ins Gericht gehen könnten. Dass andere gemein zu ihnen sind und sie damit sehr traurig machen.

Ich kenne all das. Ich habe viele Konflikte und Streits durchlebt, als ich in der Pubertät war. Ich weiß, wie es sich anfühlt, dazu gehören zu wollen und doch anzuecken. Sie hat mich wahnsinnig herausgefordert, diese Zeit als Teenager. Der ewige Vergleich mit den anderen, die Selbstbehauptung, die Zickereien unter Mädchen… Und all das bevor Cybermobbing und digital versendete Fotos das Leben der jungen Menschen noch erschwerten. 

Ich eckte häufig an. Ich trat (zu) selbstbewusst auf und provozierte damit die Angriffe. Das glaube ich zumindest. Es kostete mich viel Kraft, aber ich versuchte meist nicht bloß mitzuschwimmen, sondern mir meine eigene Haltung zuzulegen und dafür einzustehen. 

Da war diese eine Freundin, damals, in der sechsten Klasse. Aus heutiger Sicht kann ich sie kaum als „Freundin“ betiteln – wir stritten uns mehr, als dass wir uns gut verstanden. Wir waren ein Dreiergespann. Das barg ständig Konflikte. Eine von uns wurde permanent ausgeschlossen – zunächst war das meist ich. Diese Freundin warf mir die schlimmsten Dinge vor. Sagte ich sei hinterhältig und gemein. Sie beschimpfte mich in einer Heftigkeit, wie es bis dahin und auch seitdem niemals jemand tat. Ich erinnere mich an viele Nachmittage an denen ich genknickt mit meinen Eltern zusammen saß und die Welt wieder nicht verstand: Was hatte ich dieses Mal falsch gemacht? Das ging eine Zeit lang so – ein ewiges Auf und Ab. Ich wusste morgens nie, was mich in der Schule erwarten würde. Manchmal sagte sie mir, ich sei die allerbeste Freundin. Am nächsten Tag war ich das personifizierte Böse.

Heute, zwanzig Jahre später und mit einer ordentlichen Menge fester und stabiler Freundschaften im Gepäck, kann ich mir ihr Verhalten erklären. Sie war das Kind einer immigrierten Mutter und eines deutschen Vaters. Er hatte die Familie früh verlassen. Ihre Mutter war eine verbitterte Kämpferin. Sie zog ihre Tochter mit der Weltsicht groß, ihnen würde nichts geschenkt und man müsse hart sein und sich durchbeißen im Leben. Ich erinnere mich, dass sie mich oft Glückskind nannte. Wenn ich mich über meine Familie ärgerte, gestand sie mir das nicht zu. Sie sagte ich hätte es so gut. Meine Eltern seien verheiratet, sie verdienten viel Geld (was objektiv nicht so war, sich für sie aber sicher so anfühlte), wir wohnten im eigenen Haus. Bei uns herrschte „Familienidylle“ – das konnte sie schlecht aushalten. Heute weiß ich das und verstehe ihre Wut auf mich. Damals war es manchmal die Hölle.

Meine Freundin verließ in der siebten Klasse die Schule – damit war der Spuk vorbei. Dieses Gefühl jedoch, nicht in Ordnung zu sein und immer wieder abgestraft zu werden ohne wirklich zu wissen, wofür – das hat sich in mir festgesetzt. Dann blicke ich auf meine süßen Mädchen und frage mich, ob sie ähnliche Konflikte erleben werden. Mit welchen Seiten an sich sie hadern und wie sie damit umgehen werden, wenn sie Gegenwind bekommen. Ich kenne die Brutalität, die heranwachsende Mädchen aufbringen können. Heute weiß ich, sie erwachsen aus der eigenen Unsicherheit oder dem Gefühl, mangelhaft zu sein. Aber als junger Mensch, da sucht man nach Zugehörigkeit und Konformität. Da wünscht man sich nur akzeptiert zu werden. Die wenigsten fühlen sich am Rande einer Klassengemeinschaft wohl. 

Ich möchte es nicht beschreien, meinen Kinder nichts unbewusst einreden und sie in ähnliche Erlebnisse drängen. Und sicherlich habe ich eine Menge über mich gelernt in dieser Zeit als Teenager. Und diese Dinge gehören eben dazu. Mein Kopf weiß das. 

Aber mein Herz, diese mütterliche Beschützerin in mir, wünscht ihnen all das nicht. Sie wünscht ihren Mädchen, dass sie ihre Leichtigkeit und Selbstliebe stets behalten und stark und selbstbewusst durch die Pubertät gehen. Sie wünscht ihnen, dass sie zu jeder Zeit stabile Freundschaften haben, die nicht bei dem leisesten Wind in Schräglage geraten, sondern mit ihnen so manchen Sturm bewältigen. Und: Sollte da doch einmal so eine destruktive Freundschaft lauern und sie traurig und hilflos machen, dann hoffe ich, dass sie mich ihnen helfen lassen. Dass sie sich mir anvertrauen und meinen Rat oder meine Schulter suchen. Die Pubertät hat ihre Tücken und lässt die Selbstzufriedenheit erschüttern. Sie konfrontiert mit tausend Fragen und ist der Beginn einer langen, mühsamen Suche: Der Suche nach sich selbst. All das kann schmerzhaft sein, mühsam und belastend. Die allermeisten durchleben diese Zeit mit vielen Hochs und Tiefs. Die gehören wohl dazu.

Und danach? Dann wird es besser, das weiß ich. Dieser Gedanke heilt auch meine alten Wunden und lässt mich milde auf die eigenen Erfahrungen und Kämpfe als junges Mädchen blicken. Und er lässt mich aufatmen, wenn ich an meine Töchter denke. Gerade sind sie rundum mit sich zufrieden. Das reicht doch für den Moment!

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