Selbstfürsorge in Zeiten von Corona

Corona ist das Thema Nummer eins. Keine Nachrichten, keine Zeitung, kein Gespräch kommt ohne aus. Infektionsgeschehen, Beschränkungen, Zahlen, Statistiken. Wir alle kennen sie. Und wir alle gehen auf dem Zahnfleisch. Oder sagen wir so: alle die, die sich an die Maßgaben halten und trotzdem versuchen ihre ToDos erfolgreich zu bewältigen. Die nun seit über einem Jahr starke Beschränkungen in sozialen Kontakten erleben. Und die diese tatsächlich als Einschränkung und nicht als Entlastung erleben.

Ich bin eine dieser Leidtragenden: Ich erfülle pflichtbewusst meine Aufgaben und habe dabei stets einen hohen Anspruch an mich selbst. Zumindest meistens. Ich bin ein Herdentier und furchtbar gerne unter Menschen. Soziale Isolation und Kommunikation via Zoom und Co rauben mir die Nerven. Ich sitze gerne mit Menschen zusammen – am liebsten stundenlang. Ich umarme meine Freund:innen, wirbele Kinder durch die Luft und schere mich nicht darum, ob ich aus dem richtigen Glas trinke. 1,5 Meter Abstand zu meinen Lieben fühlen sich zu weit an. Ich reise gerne, ich gehe gerne aus. Ich bin gern spontan. Ich bin eine Leidtragende!

Die „wen trifft es am härtesten“-Skala ist eine Albernheit! Wir alle leiden – zunehmend. Wir alle haben uns das nicht gewünscht. Wir tragen Leid und können es nicht mal adäquat abladen. Denn wo? Bei wem? Wann?

Mitleid empfinde ich auch, wenn ich mein Spiegelbild betrachte. Selbstredend: Mitte dreißig, zwei Kinder. Der Lack ist ab! Aber es ist mehr als das. Einen Blick in den Spiegel der länger dauert als wenige Sekunden, den wage ich kaum. Und häufig fehlt mir auch die Zeit dazu. Mascara? Fehlanzeige. Eine nette Frisur? Für wen? Und mein Kleiderschrank ist von Schwangerschaftsklamotte in nach-Schwangerschafts-Klamotte zu Lockdown-Klamotte gewechselt. Heißt immer: farblos, bequem, unsexy. Ich frage mich allmählich, ob ich die Selbstfürsorge überhaupt noch gut kann. Denn mal abgesehen von drei Monaten im letzten Herbst galt mein Blick rund um die Uhr meinen beiden Mädchen. So habe ich mich gut eingerichtet in der grauen Jogginghose, ungeschminkt, unauffällig. 

Für sich selbst zu sorgen bedeutet zu wissen, was mir gut tut. Die Äußerlichkeiten sind da nur ein kleiner Aspekt. Trotzdem machen sie sichtbar was innen wohnt: Kein Raum für mich.

Also: Was tut mir gut? Lesen? Au ja! Aber abends, ermüdet auf dem Sofa? Mehr als fünf wache Seiten glücken mir selten. Der Abend endet dann erschreckend früh. Sind die Abendstunden die Einzigen in denen sich die Welt nicht um Kinderwünsche und -geplapper dreht, dürfte er gerne länger andauern. Was dann? Sport? Das Fitnessstudio ist zu! Joggen oder Yoga zu Hause? Mache ich gelegentlich – Erfüllung sieht anders aus! Job-Konzepte entwickeln? Zäh und mühsam, wenn der Kopf von Tag so voll erscheint! Freund:innen sehen, stundenlang quatschen. Haha! Zoomen hilft über den größten Schmerz hinweg, aber heilsam ist es nicht. Kochen? Ja, ich mag kochen. Gemütlich zu Studien-Zeiten mit meiner Jungs-WG. Herrlich! Aber Kochen mit Kindern? Es kann nie schnell genug gehen, dann will die eine mit kochen, die andere dann auch. Töpfe scheppern, Gemüse kippt ins Waschbecken, die Salatsoße verteilt sich auf der Arbeitsplatte… und am Ende schmeckt es ihnen nicht. Es ist immer wieder eine schöne Vorstellung „Kochen mit meinen Mädels“. Die Realität sieht anders aus.

Was mir sonst gut tut wäre ein Tag in der Sauna, ein ausgedehnter Spaziergang (ohne Kinder), schöne Ausflüge, bummeln in der Stadt…. Warum das alles nicht geht oder unter den Pandemie-Bedingungen wenig freudvoll ist, brauche ich nicht erläutern. Urlaub wäre schön. Nur wann geht das wohl? Wohin kann man mit einem guten Gefühl reisen? Mist!

Das mit der Selbstfürsorge ist so eine Sache: Es ist ein Wort in aller Munde. Viele sprechen über die Bedeutung. Das löst in mir schnell einen Abwehrreflex aus. Aber – nach reiflicher Überlegung – glaube ich doch: Sie ist von entscheidender Wichtigkeit! Das ist sie immer! Aber in unserer aktuellen Zeit, in der viele am Limit sind und das individuelle Leid quält umso mehr. In der wir alle nach dem Ende lechzen und doch keiner sagen kann, wann es wirklich soweit ist. Da müssen wir alle für uns selbst sorgen, wenn es schon die Freund:innen, die Familie, die Kolleg:innen, die Hobbies nicht ausreichend können. 

Zu wissen, was mir gut tut und wie ich das bekomme, ist ein Schatz. Dem egoistisch-vermessenen Beigeschmack den es schnell bekommt, möchte ich keine Beachtung schenken. Viele von uns schauen viel zu selten und viel zu kurz hin. In den Spiegel. Oder in die Seele. Es ist wichtig, dass es uns gut geht! Schlimmer als alle wirtschaftlichen Folgen dieser Pandemie zusammen ist ein psychisch verbranntes Land. Sagen zu können: „Ich brauche das jetzt. Ich tue das für mich!“ ist eine Stärke.

Ein Urlaub, ein Ausflug in die Sauna oder ein ausgelassener Tag mit Freund:innen – all das kann es im Moment natürlich nicht sein. Aber ich merke, dass es nun, im zweiten Jahr des Ausnahmezustandes, zunehmend an Bedeutung gewinnt, meine Inseln der Selbstfürsorge zu finden. Ich brauche eine Unterbrechung des Strudels aus Familien- und Corona-Themen. Denn an mühsamen Tagen hat dieser Strudel das Potenzial mich in seine Tiefen der Unzufriedenheit und Stagnation zu ziehen. Diese Inseln des Schreibens die ich mir hier schaffe, die tun mir sehr gut. Dann bin ich bei mir, sorge für mein Seelenheil und gewinne neue Kräfte. Kräfte um dem Strudel zu entkommen und mich wieder hochzustrampeln in seichtere Gewässer.

Wenn mir die Selbstfürsorge gelingt, sehe ich die Pandemie gelassener. Ich fühle wieder, dass wir auf vielen Ebenen großes Glück haben: Wir alle sind gesund, wir wohnen nicht beengt. Unsere Kinder können seit April wieder ihre Kontaktbedürfnisse im Kindergarten stillen. Wir leiden nicht unter Existenzängsten und schlagen uns nicht mit von Verschwörungstheorien geplagten Freund:innen herum. Wir leben mitten in Deutschland: abgesichert, satt gefuttert, behütet. Selbst gut versorgt, lerne ich zunehmend, dass die Kunst dieser Zeit darin besteht, flexibel zu leben und sich über die Kontaktsituationen zu freuen, die sich ergeben. Das Schmieden großer Pläne ist zwecklos. Und manchmal ertappe ich mich sogar dabei, dass mir das ganz gut gefällt. Der Freizeitstress ist einer Gelassenheit gewichen. Wir treiben durch die Wochenenden und richten uns nach Wetter, Stimmung und Infektionsgeschehen.

Selbstfürsorge in Zeiten der Pandemie? Ein schwieriges Unterfangen – und zwar für nahezu jeden Menschen. Gelingt es mir trotzdem ihr Inseln einzuräumen, lässt sich diese Krise besser ertragen. Und eines Tages wird sie ganz überwunden sein. Ich bin gespannt welche Erkenntnisse ich aus dieser unwirklichen Zeit erhalte. Und ob es mir gelingt, meine Strategien zur Selbstfürsorge mitzunehmen und ein Stück der Planlosigkeit und Gelassenheit in das neue Alte zu übertragen.

1 Kommentar zu „Selbstfürsorge in Zeiten von Corona“

  1. Hallo Kaja

    was Du Selbstfürsorge nennst, ist für mich das Sammeln schöner Momente, freundvoller Erlebnisse, herzhaften Lachens. Im Pandemie-Alltag ist die Chance darauf stark vermindert. Und doch: machen wir uns gegenseitig liebevolle Geschenke! Vielleicht hilft das.

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